
„Jeans sind eine Einstellung und keine Hose“[i]
Beatrix Hoffmann-Ihde
BCDSS Exhibition Curator
Das titelgebende Zitat stammt aus dem Buch „Die neuen Leiden des jungen W.“ von Ulrich Plenzdorf. Es hebt darauf ab, dass Kleidung viel mehr ist als nur das Medium einer Kulturtechnik, die den Körper schützt. Als zweite Haut dient Kleidung immer auch der Vermittlung von Botschaften, die mit dem eigenen Körper in die Umwelt getragen werden. Kleidung vermittelt Identitäten und Zugehörigkeiten ihrer Nutzer:innen ebenso, wie sie Ausdruck von Protest und Widerstand oder von Solidarität sein kann.
Die Jeans als widerstandsfähige Arbeitshose
Die Jeans wurde um 1870 in den USA als Arbeitshose entwickelt. (Abb. 1) Levi Strauss (1829-1902), im oberfränkischen Buttenheim (im heutigen Bayern/Deutschland gelegen) geboren, folgte nach seiner Auswanderung in die USA dem Goldrausch nach San Francisco. Dort arbeitete er als Textil- und Kurzwarenhändler und lernte dabei den Schneider Jacob Davis (1831-1908) kennen, dem er Stoffe für Arbeitshosen lieferte. Diese verstärkte Davis an den besonders beanspruchten Nahtstellen – wo sie viel zu schnell zerrissen – mit Nieten. Für diese Arbeitshosen meldeten Davis und Strauss ein gemeinsames Patent an und fanden reißenden Absatz. Sie ließen die neue Arbeitshose aus strapazierfähigem Denim-Stoff herstellen. Der grobe Baumwollstoff entsteht durch eine bestimmte Webtechnik und erhält sein charakteristisches Aussehen dadurch, dass nur die Kettfäden mit Indigo gefärbt sind, während die Schussfäden rohweiß bleiben.

Abb. 1: Jeans aus dem Jahr 1873 (vermutlich Levi’s), geborgen aus einem Minenschacht in Nevada (Foto: mit freundlicher Genehmigung von liveauctioneers.com)[i].
Von der Arbeitshose zur Protestkleidung
Das Tragen von Jeans wurde im 20. Jahrhundert zum Ausdruck jugendlichen Protests gegen die Konventionen ihrer Gesellschaft und gegen die damit verknüpften Abhängigkeitsbeziehungen. In Westeuropa waren nach dem Zweiten Weltkrieg die Blue Jeans, wie die Arbeitshosen dort genannt wurden, ein Symbol des American Way of Life. Für die heranwachsende Jugendgeneration stand er für Freiheit und Aufbruch aus der Enge der Nachkriegsgesellschaft und wurde durch amerikanische Spielfilme mit Schauspielern wie James Dean oder Marlon Brando und Rock-‘n’-Roll-Musik popularisiert. Zunächst waren es vor allem junge Männer, die Blue Jeans zu ihren Lederjacken trugen. Dieser Kleidungsstil und ihr teils aggressives Auftreten bildeten eine spürbare Provokation der Gesellschaft, die entsprechend ablehnend reagierte. Mit dieser Vorgeschichte entwickelte sich die Blue Jeans allmählich zum allgemeinen Protestsymbol gegen die starren bürgerlichen Werte westlicher Gesellschaften (Abb. 2).

Abb. 2: Hippies in Jeanskleidung, St. Ives, Cornwall/GB (Foto: unbekannt, 1973).
Die Jeans als DDR-Politikum
In der DDR provozierten die Niethosen, wie die Jeans dort genannt wurden, in den 1950er und 60er Jahren nicht nur, sondern stellten sogar ein Politikum dar. Mit Schikanen und Verboten versuchte die Regierung, das Tragen von Niethosen zu unterbinden. Anstatt dass der Arbeiter- und Bauernstaat, als den sich die DDR verstand, die ursprüngliche Arbeitshose in den Dienst seiner sozialistischen Propaganda stellte, erklärte er sie zum Symbol des Klassenfeinds. Dadurch erhielt die Protestsymbolik der Jeans eine weitere Facette. Wer also in der DDR eine Jeans trug, konnte damit auch seine Ablehnung der engstirnigen Politik und der ideologisierten Gesellschaft zum Ausdruck bringen. Ab den 1970er Jahren begann die DDR-Regierung einzulenken und schließlich brachte die Textilindustrie eigene Jeansmarken auf den Markt. Damit sollte dem populären Kleidungsstück die staatskritische Symbolik genommen und die visuelle Dominanz der westlichen Marken geschwächt werden (Abb. 3).

Abb. 3: Jeans der DDR-Marke Wisent (Foto: © Sammlung DDR Museum, Berlin).
Jeans und Fair Fashion
Jeans haben in der gegenwärtigen Gesellschaft ihren einstigen hohen symbolischen Wert verloren. Aber sie sind immer noch unverzichtbarer Bestandteil der Mode und unterliegen deren Diktat des ständiger Veränderung. Vor diesem Hintergrund vermitteln sie manchmal auch eine kritische Position ihrer Träger:innen in Bezug auf die Herstellungsbedingungen und Umweltbelastung im Zusammenhang mit der Herstellung von Jeans. Mit der bewußten Entscheidung gegen manche der modischen Trends, wie etwa das umweltschädliche stone washing oder das vorsätzliche Einfügen von Rissen in neuen Stoff, artikulieren Nutzer:innen eine kritsche Haltung gegenüber Umweltzerstörung und Wohlstandszynismus (Abb. 4 + 5).


Abb. 4: „Stone washed“-Jeans. Die Stoffoberfläche wird mit Bimsstein- und Chlor oder durch Sandstrahlen so behandelt, dass der Eindruck entsteht, die Jeans wäre bereits häufig getragen und sei daher abgenutzt (Foto: lanych / Shutterstock.com).
Abb. 5: ‚Ripped-Jeans‘ mit vorsätzlich eingebrachten Rissen (Foto: Ortis / Shutterstock.com).
Weiterführende Literatur
Bosse, Ulrike, 2024. Jugend in den 50ern: Rebellion in Jeans und mit Rock ’n‘ Roll. https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Jugend-in-50ern-Rebellion-in-Jeans-und-mit-Rock-n-Roll,rocknroll110.html
Herzog, Sara, Olivier Bucher und Matthias Broekmann, 2020. Der lange Weg einer Jeans.
MDR, 2022. Wisent, Boxer, Shanty – Jeansfeeling Ost. Die Jugend und die Mode in der DDR. https://www.mdr.de/geschichte/ddr/alltag/jeans-in-der-ddr-100.html
Menzel, Rebecca, 2004. Jeans in der DDR – Vom tiefen Sinn einer Freizeithose. Berlin: Chr. Links Verlag.
Plensdorf, Ulrich, 1973. Die neuen Leiden des jungen W. Berlin: Hinstorff Verlag.
[i] Edgar Wibeau in: Ulrich Plenzdorf, Die neuen Leiden des jungen W., Berlin 1973.
[i] https://www.liveauctioneers.com/price-result/oldest-known-1800-s-vintage-levis-denim-501-jeans-dated-to-1873/?srsltid=AfmBOoqGcyu3-D71O-xqfoSWeyuBzIw1dLor0Sf879h0H5uuQtuVHD2m