Eine Frage der Tradition: Spinntechniken im antiken Mittelmeerraum und Europa
Petra Linscheid
BCDSS Investigator
In der antiken Textilproduktion gab es verschiedene Spinntraditionen: In Europa wurden die Fäden im Uhrzeigersinn in „Z“-Richtung gesponnen, während man im Nahen Osten die „S“-Richtung gegen den Uhrzeigersinn bevorzugte. Diese unterschiedlichen Spinntraditionen beruhen auf den verschiedenen Rohstoffen und haben sich im Laufe der Jahrhunderte als Standard etabliert.
Fäden sind der Grundbaustein von Textilien. Ein Faden besteht aus Fasern, die durch Verdrehen zu einem fortlaufenden Faden verarbeitet werden – das ist der Spinnprozess. Dabei sind nur zwei Spinnrichtungen möglich: entweder im oder gegen den Uhrzeigersinn. In der Textilanalyse bezeichnet man diese beiden Spinnrichtungen mit den Buchstaben Z bzw. S – je nach Richtung der Hauptlinie des Buchstabens (Abb. 1 + 2).
Abb. 1: Die Drehrichtungen Z und S entsprechen der Richtung, in welche sich die Spindel dreht. (Zeichnung: Petra Linscheid, o. J.).
Abb. 2: In der Antike wurde eine Handspindel genutzt, die aus einem Holzstab und einem Spinnwirtel aus Ton oder Knochen bestand. Im Laufe der Jahrhunderte sind nur die Wirtel erhalten geblieben. Spinnwirtel aus Kleinasien, Bronzezeit. Akademisches Kunstmuseum der Universität Bonn, Inv. 428a, c, e, f, 899, 2323 (Foto: J. Schubert, 2024).
Was auf den ersten Blick belanglos scheint, bildet jedoch einen der bedeutendsten Unterschiede in der Textilgeschichte. In der Antike wurden Fäden in Europa und im nördlichen Mittelmeerraum in Z-Richtung gesponnen, während man im Nahen Osten in S-Richtung gesponnen hat. In der Textilforschung hat man versucht, den Grund für die Anwendung dieser unterschiedlichen Spinntechniken herauszufinden. Die Beständigkeit dieses Unterschieds in der Spinnrichtung verrät, dass es sich dabei nicht um einen Zufall handelt. Auch ist die Auswahl der Richtung unabhängig von Links- oder Rechtshändigkeit.
Mittlerweile sind Forscher*innen sich einig, dass die Spinnrichtung durch die hauptsächlich verwendete Faserart bestimmt wurde. Im Nahen Osten war Leinen das hauptsächlich verwendete Material. Da Leinen von Natur aus eine leichte S-Drehung aufweist, wandte man dort diese Technik an. Im nördlichen Mittelmeerraum und Europa nutzte man vor allem Wollfasern, weshalb man dort eine andere Spinnrichtung bevorzugte. Die jeweilige Spinntradition etablierte sich und wurde auch für weitere Materialien zum Standard. Die unterschiedlichen Spinnrichtungen waren bis zum Mittelalter typisch für Textilien aus dem Nahen Osten und Europa. Das zeigt, wie stark Traditionen auf die Textilproduktion einwirken (Abb. 3 – 5).
Abb. 3: Geografische Verteilung von Z- und S-Drehrichtungen (Karte: P. Linscheid, o. J.).
Abb. 4: Ausschnitt aus einem frühmittelalterlichen Textil mit Z-gesponnenen Fäden aus dem Rheinland. LVR-LandesMuseum Bonn, Inv. 1937,114 (Foto: LVR-Landesmuseum, J. Vogel 2019).
Abb. 5: Ausschnitt aus einem frühbyzantinischen Leinengewebe mit S-gesponnenen Fäden aus Ägypten. F. J. Dölger-Institut der Universität Bonn, Inv. 165 (Foto: F. J. Dölger-Institut 2024).
Informationen zu den Objekten von Abbildung 2:
Inv. 428a: Spinnwirtel, reliefverziert, Ton, H: 1,8 cm, D: 2,6 cm, Datierung: 2500–2000 v. Chr., Fundort: Bosöyük (Türkei), Objektgeschichte: Geschenk von Alfred Körte 1895/96.
Inv. 428c: Spinnwirtel, Ritzornament, Ton, H: 2,8 cm, D: 4,1 cm, Datierung: 2500–2000 v. Chr., Fundort: Bosöyük (Türkei), Objektgeschichte: Geschenk von Alfred Körte 1895/96. Literatur: Abgebildet bei Koerte, AM 24, 1899 Taf. 1,5.
Inv. 428e: Spinnwirtel, Ton, H: 2,6 cm, D: 3,8 cm, Datierung: 2500–2000 v. Chr., Fundort: Bosöyük (Türkei), Objektgeschichte: Geschenk von Alfred Körte 1895/96.
Inv. 428f: Spinnwirtel, Ton, H: 2,7 cm, D: 4,3 cm, Datierung: 2500–2000 v. Chr., Fundort: Bosöyük (Türkei), Objektgeschichte: Geschenk von Alfred Körte 1895/96.
Inv. 899: Spinnwirtel, Ritzornament, Ton, H: 1,7 cm, D: 3,5 cm, Datierung: 2500 v. Chr., Fundort: Yortan (Türkei).
Inv. 2323: Spinnwirtel, Ritzornament, Ton, H: 1,9 cm, D: 2,9 cm, Datierung: bronzezeitlich, Fundort: Kleinasien (?).
Weiterführende Literatur
Bentz, Martin, 2008. Rasna. Die Etrusker. Ausstellungskatalog Bonn.
Gleba, Margarita, and Ulla Mannering, 2012. Textile Preservation, Analysis and Technology, in: Margarita Gleba and Ulla Mannering (eds.), Textiles and Textile Production in Europe from Prehistory to AD 400 (Ancient Textiles Series 11), Oxbow Books, Oxford, pp. 1–24.
Jørgensen, Lise Bender, 2018. Textiles from Mons Claudianus, ‘Abu Sha’ar and Other Roman Sites in the Eastern Desert, in: Jean-Pierre Brun et al. (eds), The Eastern Desert of Egypt During the Greco-Roman Period: Archaeological Reports, Collège de France, https://doi.org/10.4000/books.cdf.5234.
Rumscheid, F. and N. Schröder, 2014. Ferne Zeit. Zeugnisse frühgriechischer Kunst im Akademischen Kunstmuseum Bonn. Ausstellungskatalog Bonn.
Wild, John Peter, 2008. Textile Production, in: John Peter Oleson (ed.), The Oxford Handbook of Engineering and Technology in the Classical World, Oxford University Press, pp. 465–482, especially p. 470.