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Verstrickt und verwoben:texturen der abhängickeit

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Aus philosophischer Sicht: Textilproduktion und asymmetrische Abhängigkeit

Beatrix Hoffmann-Ihde
BCDSS Exhibition Curator

Asymmetrische Abhängigkeitsbeziehungen entstanden schon vor Jahrtausenden im Umfeld der Textilproduktion und wurden zu einer Geißel für diejenigen Menschen, die ihnen ausgeliefert waren. Bereits der griechische Philosoph Aristoteles (Abb. 1) verwies auf den Zusammenhang von Sklaverei und Textilproduktion. Und Thomas Morus kritisierte die Wollschafzucht auf Kosten der Menschen, die im frühneuzeitlichen England ihre Felder für Schafweiden hergeben mussten.

Abb. 1: Büste des Aristoteles. Römische Kopie nach dem griechischen Bronze-Original von Lysippos, um 330 v.u.Z. (Museo nazionale romano di palazzo Altemps, Inv. 8575) (Foto: Jastrow, 2006).

„Wenn die Webschiffchen von allein weben würden“

In seiner Schrift „Politik“ stellte Aristoteles[i] (384 -322 v.u.Z.) schon damals fest: „Wenn […] die Webschiffchen von allein weben würden, […] dann […] brauchten die Herren keine Sklaven.“[ii] (Abb. 2a + 2b). Aristoteles erläutert in diesem Abschnitt die Wirtschaftsordnung seiner Umwelt als Teil des Staatssystems. Aus heutiger Sicht machte er damit aber auch auf die starken asymmetrischen Abhängigkeitsbeziehungen aufmerksam, die mit der Textilproduktion jener Zeit einhergingen. Seitdem hat sich wenig geändert: Bekleidung, aber auch ein erheblicher Teil von Wohntextilien, wie zum Beispiel Teppiche, werden heute im sogenannten Globalen Süden unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen produziert (Abb. 3).

Abb. 2a: Zwei Frauen an einem vertikalen Webrahmen, dargestellt auf der Wandung eines attischen Salbölgefäßes aus Ton (Lekythos). Amasis-Maler, 550-530 v.u.Z.; H: 17,1 cm (The Metropolitan Museum of Art (MoMA), New York, Inv. 31.11.10.) (Foto: MoMA NY, o. J.).

Abb. 2b: Zyprischer Teller bemalt mit der Darstellung eines Webrahmens, spätes 8. Jh. v.u. Z. (Akademisches Kunstmuseum Bonn, Inv. 3107), (Foto: AKM, 2011).

Abb. 3: Arbeiterinnen in einer Textilfabrik in Dhaka, Bangladesh (Foto: Rehman Asa/Shutterstock.com).

Die Herstellung von Textilien ist eine der ältesten Kulturtechniken des Menschen. Die frühesten Hinweise reichen rund 32.000 Jahre zurück (Kvavadse et al. 2009). Die ersten Textilien wurden vermutlich als Gerätschaften zur Unterstützung der Nahrungsbeschaffung hergestellt: Fangnetze, Seile und Korbwaren. Eine weitere zentrale Funktion von Textilien war der Schutz: der menschlichen Haut durch Kleidung und des gesamten Körpers durch Wohntextilien, wie Zelte, Jurten, Vorhänge oder Teppiche. Der Gebrauch von Textilien hatte aber schon früh in der Menschheitsgeschichte weitere Funktionen: Textilien, besonders Kleidung, dienten der Markierung von sozialer Position und Status in einer Gemeinschaft oder Gesellschaft. Auch die Produktion von Textilien konnte ein Marker für den sozialen Status sein, was zum Beispiel im Sprichwort „Spinnen am Morgen – Kummer und Sorgen. Spinnen am Abend – erquickend und labend“ bis heute in der deutschen Sprache fortlebt. Wer in früherer Zeit darauf angewiesen war, mit dem Spinnen seinen Lebensunterhalt zu verdienen, für den bedeutete es Armut und Not. Denn diese Arbeit war schlecht bezahlt und anstrengend und für den Körper ungesund, wenn sie den ganzen Tag lang ausgeführt werden musste, um das Nötigste zum Leben zu verdienen. Meist waren es Frauen aus den unteren Bevölkerungsschichten, die in einfachsten Verhältnissen lebten, zu Hause spannen und nebenher andere Tätigkeiten verrichteten, zum Beispiel Kinder beaufsichtigten oder kochten. Wer aber zum Zeitvertreib in den Abendstunden spann, dessen Lebensunterhalt war gut gesichert und das Spinnen diente der Entspannung.

Wollschafzucht versus Ackerbau

Aber nicht nur die Herstellung von Textilien war und ist auch heute noch mit asymmetrischen Abhängigkeitsbeziehungen verknüpft, sondern das trifft auch für die Herstellung der Rohstoffe zu. Thomas Morus (1478-1535) (Abb. 4) klagte im 16. Jahrhundert in seiner Schrift „Utopia“: „Eure Schafe, […] die gewöhnlich so zahm und genügsam sind, sollen jetzt so gefräßig und wild geworden sein, daß sie sogar Menschen verschlingen sowie Felder, Häuser und Städte verwüsten und entvölkern.“ (Morus 1982 [1516]: 22). Vor allem zur Schaffung von Weideland für die Wollschafzucht wurden in England, später auch in Wales und Schottland zahlreiche Ackerbauern bis hin zu ganzen Dorfgemeinschaften von den gemeinschaftlich genutzten Ländereien vertrieben, auf denen sie als Pächter ihren Lebensunterhalt erwirtschaftet hatten (Abb. 5). Im Zuge dieser sogenannten Clearances, die den Einhegungen, zum Beispiel zur Schaffung von Weideland, vorangingen, sahen sich Tausende Ackerbauern und ihre Familien gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Viele gingen in die Städte, um dort in den Fabriken zu arbeiten. Andere wanderten nach Australien oder Nordamerika aus, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Dort setzten sie leider oftmals die ihnen widerfahrene Praxis der Vertreibung selbst fort und eigneten sich indigenes Land an, um es zu bewirtschaften.

Ausgelöst hat diesen Prozess der stetig steigende Wollbedarf der englischen Wirtschaft, da Wollproduktion ab dem 15. Jahrhundert zunehmend als sichere Einkommensquelle galt. Die Wollproduktion und -verarbeitung zu Tuchen war für England und später Großbritannien über Jahrhunderte eine der wichtigsten Einnahmequellen, immer wieder auch die einzig verlässliche. Der stetig steigende Wollbedarf und die damit verknüpfte Schafzucht, um diesen zu befriedigen setzten auf den britischen Inseln eine landwirtschaftliche Revolution in Gang. Sie führte zu einer dramatischen Verschärfung der sozialen Gegensätze.

Abb. 4: Portrait von Sir Thomas More. Hans Holbein der Jüngere, 1527 (The Frick Collection, New York, 1912.1.77.).

Abb. 5: Weidende Schafe im schottischen Hochland (Foto: B. Ihde, 2024).


Weiterführende Literatur

Aristoteles, 1991. Politik. Werke in deutscher Übersetzung. Begr. von Ernst Grumach. Hrsg. von Hellmut Flashar. Bd. 9, Teil 1: Buch I. Über die Hausverwaltung und die Herrschaft der Herren über die Sklaven. Übersetzt und erläutert von Eckard Schütrumpf. Berlin: Akademie Verlag.

Kvavadse, Eliso, Ofer Bar-Yosef, Annal Belfer-Cohen, Elisabetta Boareatto, Nino Jakeli, Zinovi Matskevich and Tengiz Meshveliani, 2009. 30,000-Year-Old Wild Flax Fibers. In: Science Vol. 325, Issue 5946, p. 1359. DOI: 10.1126/science.1175404.

Lamas, Bruno, 2021. When Looms Begin to Weave by Themselves: The Decomposition of Capitalism, Automation and the Problem of “Modern Slavery”. Abdelkader Al Ghouz, Jeannine Bischoff, Sarah Dusend (eds.), Joseph C. Miller Memorial Lecture Series of BCDSS, Volume 6. Berlin: EB-Verlag Dr. Brandt.

Morus, Thomas, 1982 [1516]. Utopia. Leipzig: Philipp Reclam.


[i] Den Hinweis auf Aristoteles verdanke ich Bruno Lamas (Lamas 2021).

[ii] „Wenn nämlich jedes Werkzeug auf Geheiß oder mit eigener Voraussicht seine Aufgabe erledigen könnte […] – wenn so die Weberschiffchen von allein die Webfäden durcheilten, […], dann brauchten die (planenden und beaufsichtigenden) Meister keine Gehilfen und die Herren keine Sklaven.“ (Aristoteles Politik, Buch 1, 1253 b 35-40).

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