Digambara-Jaina-Mönche in Indien: Die Ablehnung der Abhängigkeit von Kleidung
Julia A. B. Hegewald
BCDSS Principal Investigator
Digambara-Jaina-Mönche in Indien sind faszinierend, da sie jegliche Kleidung ablehnen und völlig nackt gehen. Dies drückt ihre Unabhängigkeit von Textilien aus. Aus religiöser Sicht wird ihre Nacktheit als Beweis für ihre völlige Entsagung und Askese angesehen. Während ihrer Initiations-Zeremonie werfen die Bettler nicht nur alle Habseligkeiten ab, sie geben auch ihr Schamgefühl ab. Die Digambara-Nonnen tragen einfache Baumwollgewänder.
Im Kontext starker asymmetrischer Abhängigkeiten in Bezug auf Textilien ist es faszinierend, Menschen zu untersuchen, die sich solchen Abhängigkeiten völlig entziehen. Dies ist beispielsweise bei Jaina-Mönchen der Digambara-Untergruppe in Indien der Fall. Diese Asketen befreien sich von allen Abhängigkeiten und lehnen alle Habseligkeiten, so auch Kleidung, ab (Abb. 1).
Abb. 1: Männliche Mönche der Digambara-Form des Jainismus veranschaulichen die völlige Loslösung von körperlichen Besitztümern, indem sie sich nackt ausziehen (Foto: J. Hegewald, 2006).
Der Jainismus ist so alt wie der Buddhismus und hat seinen Ursprung etwa im 6. Jahrhundert v. Chr. im ostindischen Bundesstaat Bihar. Im Gegensatz zum Buddhismus ist der Jainismus eher asketisch. Die Jaina-Gemeinschaft teilt sich in zwei Hauptsekten. Während Mönche der Shvetambara-Gruppe (= weißgekleidet) einfache weiße Baumwollgewänder tragen (Abb. 2), sind die Mönche, die dem Digambara-Jainismus (= himmelgekleidet) angehören, völlig nackt (Abb. 3).
Abb. 2: Shvetambara-Jaina-Asket, der einfache weiße Baumwollgewänder in einem Tempel in Rajasthan, Nordwestindien, trägt (Foto: J. Hegewald, 1998).
Abb. 3: Digambara, „himmelbewehrte“ Mönche, lehnen jede Abhängigkeit von Kleidung ab und tragen nur einen Wassertopf und einen Fliegenwedel (Foto: J. Hegewald, 2006).
Digambara-Nonnen ist es jedoch nicht gestattet, sich in den Zustand asketischer Nacktheit zu begeben. Sie tragen einfache weiße Baumwollgewänder (Abb. 4). Dies dient gesellschaftlichen Konventionen und zwingt die Frauen, an einigen Habseligkeiten festzuhalten. Aufgrund dieser Abhängigkeit von Kleidung herrscht in dieser Glaubensrichtung die Vorstellung, dass die Nonnen nicht in der Lage wären, aus einem weiblichen Körper heraus Erleuchtung zu erlangen.
Abb. 4: Jaina-Nonnen dürfen ihre Kleidung nicht ablegen, sie tragen einfache weiße Baumwollkleider (Foto: J. Hegewald, 2006).
Die Nacktheit der Digambara-Jaina-Mönche wird als Zeichen völliger Entsagung in ihrer extremen Form angesehen. Dies ist ein klarer Hinweis auf die Freiheit, die sie von allen Bindungen an weltliche Besitztümer erlangt haben. Damit sind Bindungen sowohl äußerlicher oder körperlicher Natur (z. B. ihre Kleidung) als auch innerer oder spiritueller Natur (z. B. Gefühle oder Wünsche) gemeint. Ihre Nacktheit symbolisiert die Reinheit, die sie durch strenge Askese erreicht haben (Abb. 5).
Abb. 5: Jaina-Laien ehren die geistige und körperliche Zurückhaltung der Jaina-Mönche und verbeugen sich vor ihnen, wie hier in Shravanabelgola, Karnataka (Foto: J. Hegewald, 2006).
Darüber hinaus verhindern die Mönche durch die Ablehnung von Kleidung, dass Baumwollpflanzen während des Ernteprozesses geschädigt werden. Ebenso verhindern sie, dass Insekten in den Falten ihrer Kleidung hängen bleiben und gequetscht werden. Damit zeigen die Asketen, die als Bettler leben, dass sie den universellen Jaina-Lehrsatz von ahimsa vollständig übernommen haben. Dieser Sanskrit-Begriff bedeutet „Gewaltlosigkeit“ oder „Nichtverletzen“ und ist das erste große Gelübde, das alle Jaina-Asketen ablegen.
Zu Beginn ihrer Ausbildungszeit ist es Digambara-Bettelmönchen immer noch erlaubt, einen einfachen weißen Lendenschurz aus Baumwolle zu tragen (Abb. 6). Während ihres religiösen Initiationsrituals, der diksha, entsagen sie jedoch offiziell der Welt und geben all ihre weltlichen Besitztümer auf. Dazu gehört auch die Überwindung emotionaler Einschränkungen, etwa des Schamgefühls. Während sie das Gelübde ablegen, keinen materiellen Reichtum zu besitzen, aparigraha, legen die Mönche ihre Gewänder ab. Dieses Gelübde muss ein Leben lang eingehalten werden.
Um das richtige Verhalten im Digambara-Jaina-Kontext widerzuspiegeln, sind auch ihre religiösen Ikonen nackt dargestellt. Diese zeigen Skulpturen der 24 vollständig erleuchteten Jaina-Lehrer, der Jinas (= Sieger) oder Tirthankaras (= Furtenbereiter). Hervorzuheben sind auch Statuen von Bahubali, dem Sohn des ersten Jina, der als Ideal eines herausragenden Asketen gilt (Abb. 7).
Abb. 6: Ein stolzer Vater mit seinem Sohn, einem jungen Digambara-Novizen, der noch einen Lendenschurz trägt, den er während seiner Initiationszeremonie ablegen wird (Foto: J. Hegewald, 2006).
Abb. 7: Nackte Statue in Vindhyagiri, Südindien, sie zeigt Bahubali, einen Asketen, der so lange regungslos dastand, dass Schlingpflanzen über seinen Körper wuchsen (Foto: J. Hegewald, 1996).
Man geht davon aus, dass Menschen durch die Ablehnung weltlicher Abhängigkeiten, durch den Besitz von nur sehr Wenigem und durch das Setzen von Grenzen auch emotionaler Bindungen zu einem tieferen Verständnis des Ursprungs und der Bedeutung der Dinge und der Natur des Seins gelangen (Abb. 8).
Abb. 8: Die Reduzierung des materiellen Besitzes und der emotionalen Anhaftungen bringt spirituelle Freiheit, wie das Leben der Digambara-Jaina-Mönche zeigt (Foto: J. Hegewald, 2001).
Neben den Jainas findet sich diese Überzeugung auch in anderen religiösen Bewegungen in Indien, auch wenn sie ihr nicht ganz so extrem folgen. Es ist auch typisch für Buddhisten und hinduistische Yoga-Praktizierende. Auch sie lehnen materielle und soziale Bindungen ab und vermeiden verschwenderischen Besitz und Konsum. Dadurch bringen die Jainas und andere Gruppen ihre starke Überzeugung zum Ausdruck, dass tiefergreifende Formen ethischen und ökologischen Verhaltens und die Anwendung ökologischer Werte erforderlich sind.
Weiterführende Literatur
Chapple, Christopher Key, 2008. “Asceticism and the Environment.” CrossCurrents. Asceticism Today, pp. 514–525.
Donaldson, Brianne, and Ana Bajželj, 2021. “Nonviolence and the Framework of Jain Ethics.” In: Insistent Life: Principles for Bioethics in the Jain Tradition. Brianne Donaldson and Ana Bajželj (eds), University of California Press, Oakland, CA, pp. 44–74.
von Glasenapp, Helmuth, 1984. Der Jainismus: Eine indische Erlösungsreligion. Olms Verlag, Hildesheim.
Hegewald, Julia A. B., 2024. Jaina Temple Architecture in India: The Development of a Distinct Language in Space and Ritual. Heidelberg: Heidelberg Asian Studies Publishing, 2024 (Monographien zur indischen Archäologie, Kunst und Philologie, Band 19). https://doi.org/10.11588/hasp.1363
Jaini, Padmanabh S., 1990. The Jaina Path of Purification. Motilal Banarsidass Publishers, New Delhi.