Gestickte Blumen: Gedenken der Yaqui-Frauen an Zwangsarbeit
Antje Gunsenheimer
BCDSS Ombudsperson
Die Tracht der Yaqui-Frauen im nordwestlichen Mexiko besticht durch ihre farbigen breiten Blumenstickereien auf der Bordüre des weiten weißen Rocks aus Batist. Ebenso ist das Oberteil, eine weiße Bluse, mit Blumen bestickt. Dies war nicht immer so, wie Yaqui-Frauen heute berichten. Wie auch Schwarz-weiß-Fotografien zeigen, trugen deren Urgroß- und Großmütter ursprünglich einfarbige Röcke und Blusen aus groben Baumwollstoffen (Abb. 1). Während der sogenannten Yaqui-Kriege (1867–1929) wurden sie, ebenso wie die Kinder, als Begleiterinnen der Männer – auf der Flucht oder abseits von Gefechten – von mexikanischen Truppen gefangen genommen, wie auf Abbildung 2 zu sehen ist. Während ihrer jahrelangen Zwangsarbeit auf Henequen-Plantagen auf der Halbinsel Yucatan eigneten sich die Yaqui-Frauen die Sticktraditionen der yukatekischen Maya-Frauen an.
Abb. 1: Eine Frau in Pótam (Yaqui-Territorium, Sonora, Mexiko) zeigt den Fortgang ihrer Stickerei für einen Rock. (Foto: A. Gunsenheimer, 2011).
Abb. 2: 30 Frauen und Kinder der Yaqui als Gefangene unter Bewachung in der Hafenstadt Guaymas, Mexico, ca.1910 (Foto: California Historical Society Collection, 1860–1960; CHS-1512 >> Creative Commons)
Hintergrund der Yaqui-Kriege
Das Tal des Yaqui-Flusses im Süden des heutigen Bundesstaates Sonora war attraktiv, bot es doch die Möglichkeit mittels künstlicher Bewässerung im ansonsten semi-ariden und gebirgigen Nordwesten Mexikos Getreide und Gemüse anzubauen sowie Viehzucht zu betreiben. Die erste Industrialisierungswelle erreichte Mexiko in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Liberale Regierungen versuchten, die landwirtschaftliche Produktivität durch zumeist gewaltvolle Aneignung indigener Siedlungsgebiete zu steigern, die in private Landgüter umgewandelt wurden. Die somit landlos gewordenen indigenen Siedler arbeiteten dann mangels anderer Einkommenschancen auf den Farmen als Tagelöhner.
Die von den Jesuiten im 17. Jahrhundert begründeten acht Kernsiedlungen der Yaqui wehrten sich jedoch gegen die Enteignung, indem sie sich militarisierten und die Kolonisierung in ihrem Siedlungsgebiet durch Überfälle erschwerten (Abb. 3 + 4).
Abb. 3: Sonora, Bundesstaat von Mexiko (Zeichnung: A. Schüssler, 2024. Nach: Padilla Ramos, Raquel, 1995. Yucatán: Fin del sueño yaqui. Hermosillo, Sonora: Instituto Sonorense de Cultura, S 95.).
Abb. 4: Weizenfeld im Yaqui-Tal bei Vicám Estación (Foto: A. Gunsenheimer, 2011).
Entrechtung, Verfolgung und Zwangsarbeit
Um den Widerstand der Yaqui-Gemeinden zu brechen, wurden den Männern am Ende des 19. Jahrhunderts die Bürgerrechte entzogen. Sie mussten zudem ein Arbeitsverhältnis auf einer der Farmen aufnehmen und die zugehörigen Papiere stets bei sich führen. Wer auf der Straße ohne Papiere aufgegriffen wurde, konnte ohne Weiteres festgesetzt werden.
Aufgrund des Arbeitskräftemangels in verschiedenen Regionen Mexikos am Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Yaqui nicht in Gefängnisse verbracht, sondern zu sechs bis zwölf Jahren Zwangsarbeit auf privaten Gütern verurteilt. Die Angehörigen, Frauen und Kinder, wurden zumeist mitgefangen und dem gleichen Schicksal zugeführt. Familien konnten dabei jederzeit getrennt werden (Abb. 5).
Abb. 5: Wandmalerei im Gouverneurspalast von Hermosillo (Hauptstadt des Bundesstaates Sonora). Der Maler bildete die Szene der in den Zug steigenden Frauen und Kinder nach (Foto: K.-H. Dürsch, 2009).
Transport, Tod und Plantagenarbeit
Für die Gefangenenbeförderung wurde die neu gebaute Eisenbahnstrecke zwischen der im Landesinneren liegenden Stadt Ciudad Obregón und der Hafenstadt Guaymas genutzt. Eine Haltestation wurde hierzu im Yaqui-Gebiet erbaut. Von Guaymas erfolgte die Beförderung per Schiff in den Süden, dann wieder über Land nach Zentralmexiko bzw. weiter bis an die Golfküste bzw. nach Yucatan. Die Reisebedingungen waren von Knappheit an Raum, Nahrung und Wasser geprägt. Sich rasch ausbreitende Krankheiten verursachten bereits unterwegs hohe Sterberaten, ein Umstand, der sich in den beengten Verhältnissen auf den Plantagen fortsetzte. Die Yaqui wurden eingesetzt im Aufbau der Weizenproduktion in Zentralmexiko, in Veracruz und in der Henequen-Verarbeitung in Yucatán (Abb. 6a + b).
Forschungen gehen davon aus, dass rund 4.000 Yaqui die Zwangsarbeit nicht überlebten, bei einer geschätzten Gesamtanzahl von 12.000 bis 15.000 Mitgliedern in den ursprünglichen Yaqui-Gemeinden.
Abb. 6a: Deportationsroute (Zeichnung: A. Schüssler, 2024. Nach: Padilla Ramos, Raquel, 1995. Yucatán: Fin del sueño yaqui. Hermosillo, Sonora: Instituto Sonorense de Cultura, S 95.).
Abb. 6b: Blick auf die heute verwaiste Zugstation außerhalb des Ortes Vícam Estación (Foto: K.-H. Dürsch, 2013).
Henequen-Produktion
Der Anbau von Henequen erlebte im 19. Jahrhundert einen Boom. Die Pflanze war das Ausgangsmaterial für alle Arten von Seilen und Verpackungen. Die Plantagen auf der Halbinsel Yucatán entwickelten sich zu dieser Zeit zu den Hauptproduzenten von Henequen und lieferten ihre Produkte in die gesamte Welt (Abb. 7).
Abb. 7: Henequen-Plantage Tankuché (Bundesstaat Campeche) mit dem im französischen Stil erbauten zentralen Herrenhaus (Foto: K.-H. Dürsch, 2013).
Arbeit auf den Henequen-Plantagen
Die Bearbeitung der Felder, auf denen die vierkronige Art Agave fourcroydes wuchs, war Schwerstarbeit und oblag den Männern. Frauen und Kinder arbeiteten in den Hallen in der Weiterverarbeitung der abgeschlagenen Agavenblätter an Maschinen.
Die Plantagen verfügten zumeist über eine dorfartige Struktur mit einem kleinen Ladengeschäft im Zentrum. Die Plantagenbesitzer zahlten Löhne, zumeist unter dem üblichen Tagessatz oder in einer selbst gedruckten Währung, die nur vor Ort galt. Die Familien erwirtschafteten sich nebenbei in kleinen Gärten Nahrungsmittel. Waren wie Kerzen, Stoffe oder Medizin konnten sie zu überteuerten Preisen im Laden vor Ort einkaufen. Oftmals führte dies zur Verschuldung der Familien, die wiederum eine Verlängerung der Arbeitsverträge zugunsten des Plantagenbesitzers zur Folge hatte (Abb. 8).
Abb. 8: Verarbeitungshalle in Tankuché neben dem Herrenhaus (Foto: K.-H. Dürsch, 2013).
Siedlungsgebiet der Yaqui in Tankuché
Als die ersten Yaqui in Tankuché ankamen, wurde ihnen ein Siedlungsplatz an einem Orangenhain außerhalb des Dorfes zugewiesen. Nach Aussage einiger Dorfbewohner (2013) führten sie dort weiter ihre gewohnten Riten wie den Hirsch-Tanz und den Pascola-Tanz auf.
Es kam allerdings auch schnell zu Eheschließungen zwischen den ansässigen yukatekischen Maya und den Yaqui, was von den Plantagenbesitzern befürwortet wurde (Abb. 9).
Die Yaqui-Siedlung ist heute nicht mehr erkennbar. Die letzte Yaqui-Sprecherin in Tankuché, Doña Angela, starb 2005.
Abb. 9: Verwaltungstrakt mit Schulraum in Tankuché hinter dem Herrenhaus (Foto: K.-H. Dürsch, 2013).
Zusammenleben und -lernen
Auf der Plantage aufwachsende Kinder erhielten, wie z.B. in Tankuché, Unterricht in Lesen und Schreiben. Frauen arbeiteten zusammen und tauschten sich aus, ebenso die Männer. Auf diese Weise übernahmen Yaqui-Frauen Teile der yukatekischen Frauentracht. Sie übernahmen zwar nicht die Form des yukatekischen huipil, der traditionellen Frauenbekleidung, die aus Unterrock und Oberkleid besteht, sondern schneiderten sich weiterhin Rock und Bluse separat, aber mit farbenfrohen Blumenreigen am Rocksaum und am Halsausschnitt, ähnlich den yukatekischen Blumenbordüren (Abb. 10 + 11).
Abb. 10: Die Gesangsgruppe der Schule von K‘anxook (Yucatán). Die Mädchen im traditionellen huipil (Foto: A. Gunsenheimer, 2010).
Abb. 11: Heutige Yaqui-Tracht (Foto: A. Gunsenheimer, 2024).
Epilog
Mit der mexikanischen Revolution wurden die Zwangsarbeitsverhältnisse aufgehoben. Die Yaqui in Yucatan, Veracruz und in Zentralmexiko konnten sich frei entscheiden, gegen Lohn auf den Plantagen – soweit diese noch existierten – weiterzuarbeiten oder nach Sonora zurückzukehren. Letzteres taten zahlreiche Yaqui, Männer wie Frauen, einige von ihnen über lange Strecken sogar zu Fuß.
Bis heute besticken die Yaqui-Frauen ihre Kleider mit breiten Blumenborten auf Blusen und Röcken. Auf den ersten Blick bilden die Blumenborten ein heiteres Merkmal der Frauentracht. Zugleich stellen sie eine Reminiszenz an das Schicksal ihrer Vorfahren dar, die als Gefangene in Yucatán arbeiteten (Abb. 12).
Abb. 12: Pótam-Blumenstickerei auf einem Tuch zum Wärmen von Weizentortillas (Foto: A. Gunsenheimer, 2011).
Anmerkung
Yaqui oder Yoreme? „Yoreme“ ist eine übliche Eigenbezeichnung, während Yaqui auf die missionierenden Jesuiten-Pater zurückgeht. Oft wird in der Verallgemeinerung von la tribu (= der Stamm) gesprochen. Allerdings erachten Mitglieder der Yaqui-Gemeinden den Sprachgebrauch von yoreme durch Nicht-Yaqui als übergriffig, ebenso wie Geschichte und Gegenwart der Yaqui durch Übergriffe seitens der mestizischen und europäischen Siedler gekennzeichnet sind. Der Beitrag nutzt daher den in der wissenschaftlichen Literatur weiterhin üblichen Namen „Yaqui“.
Weiterführende Literatur
Hu-DeHart, Evelyn, 1974. Development and Rural Rebellion: Pacification of the Yaquis in the Late Porfiriato. Hispanic American Historical Review 54: 72 – 93.
Paco Ignacio Taibo II, 2013. Yaquis: Historia de una guerra popular y de un genocidio en México. Ciudad de México: Edición Planeta.
Paco Ignacio Taibo II, 2017. Die Yaqui: Indigener Widerstand und ein vergessener Völkermord. Berlin/Hamburg: Assoziation A.
Padilla Ramos, Raquel, 1995. Yucatán: Fin del sueño yaqui. Hermosillo, Sonora: Instituto Sonorense de Cultura.
Padilla Ramos, Raquel, 2009/2018. Los partes fragmentados. Narrativas de la guerra y la deportación yaquis. Hamburg: Diss./online-Publikation sowie México: INAH.