„En habito de una india“: Im befreienden Gewand einer indigenen Frau der Anden
James Almeida
BCDSS Fellow
Im September 1666 trat der Halter versklavter Menschen, Joseph Gutierrez de Leon, mit einer ungewöhnlichen Bitte vor die Stadtbehörden von Potosí (dem Wirtschaftszentrum des kolonialen Perus im heutigen Bolivien): Er wollte das Gesicht von einer von ihm versklavten Frau namens Catalina brandmarken, um sie als Sklavin zu kennzeichnen. Catalina galt als mulata – eine Person mit sowohl afrikanischer als auch europäischer Herkunft. Sie machte es sich zu eigen, ihrer Versklavung zu entkommen, indem sie die Kleidung einer sogenannten india, einer indigenen Frau trug. Dadurch wirkte sie auf die Außenwelt wie eine Freie.
Eine versklavte mulata bekleidete sich normalerweise mit Bluse und Rock – entweder weiß oder farblos und ohne Verzierung (Abb. 1). Eine india hatte hingegen mehr Möglichkeiten. Indigene Frauen trugen farbenfrohe Röcke mit spezifischen Mustern sowie Blusen und Schals, die oft mit einem tupu, einer Gewandnadel aus Gold oder Silber zusammengehalten wurden (Abb. 2). Auf diesem Bild reicht der spanische Ehemann seiner indigenen Frau ein silbernes tupu.
Abb. 1: Francisco Clapera, De Gibaro, y Mulata, Tente en el ayre, ca. 1775. Ölfarbe auf Leinwand, Denver Art Museum. Geschenk aus der Sammlung von Frederick und Jan Mayer, 2011.428.16. (Foto: Mit freundlicher Genehmigung des Denver Art Museums, o. J.).
Abb. 2: Cristóbal Lozano, Español. Yndia Serrana. O Civilizada. Produce mestizo, ca. 1761‒1776. Ölfarbe auf Leinwand. Museo Nacional de Antropología/Madrid (Spanien), CE5244.
Indigene Männer und Frauen webten feine Textilien zu Hause oder vermehrt auch in Werkstätten, die sich in den Städten der Anden befanden (Abb. 3). Die Muster auf ihren Textilien wie die des hier gezeigten Gürtels oder der Schärpe gaben Aufschluss über die ethnische Zugehörigkeit oder den königlichen Status – Details, die die spanischen Obrigkeiten manchmal übersahen. Diese Muster, die Qualität der tupus und die Frisur waren Ausdruck sozialer Identitäten – so auch für die Inka-Königin in dieser Abbildung (Abb. 4) aus dem 17. Jahrhundert.
Abb. 3: Felipe Guaman Poma de Ayala, „Die erste ,Straße‘ oder Altersgruppe von Frauen, awakuq warmi, Weberin im Alter von dreiunddreißig Jahren“ in Nueva corónica y buen gobierno, 1615. Royal Danish Library, GKS 2232 kvart: Guaman Poma, Nueva corónica y buen gobierno (c. 1615), page [215 [217]]
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Abb. 4: Felipe Guaman Poma de Ayala, „Die achte quya, Mama Yunto Cayan“ in Nueva corónica y buen gobierno, 1615. Royal Danish Library, GKS 2232 kvart: Guaman Poma, Nueva corónica y buen gobierno (c. 1615), page [134 [134]]
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Das Tragen einer solchen Kleidung bedeutete Freiheit. Gegebenenfalls wies es auch auf einen Platz auf dem Markt als Lebensmittelproduzent*in oder als Produzent*in von chicha hin, einem leicht alkoholischen Getränk, das in den Anden vor allem aus Mais hergestellt wird. Auch das Darreichen von chicha konnte ein Privileg sein. Abbildung 5 zeigt eine Adlige oder Königin der Inka, die Feldarbeitern einen mit chicha gefüllten Becher reicht.
Abb. 5: Felipe Guaman Poma de Ayala, „August: Triumphlieder, Zeit zum Öffnen der Erden“ in Nueva corónica y buen gobierno, 1615. Royal Danish Library, GKS 2232 kvart: Guaman Poma, Nueva corónica y buen gobierno (c. 1615), page [1153 [1163]]
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Wie Catalina weiterlebte, ist nicht bekannt. Man geht davon aus, dass sie nie gebrandmarkt wurde. Wahrscheinlich gelang ihr die Flucht nach Cuzco (im heutigen Peru) mit ihrem Partner – davon ging zumindest ihr Halter aus. Vielleicht hat sie sich aber auch weiter in die Gemeinschaft in Potosí integriert und sich dort mit den Kleidern einer india als Freie getarnt.
Weiterführende Literatur
Mangan, Jane E., 2009. “A Market of Identities: Women, Trade, and Ethnic Labels in Colonial Potosí.” In Imperial Subjects: Race and Identity in Colonial Latin America (Latin America Otherwise), edited by Andrew B. Fisher and Matthew D. O’Hara, 61–80. Durham: Duke University Press.
Minchom, Martin, 1994. The People of Quito, 1690-1810: Change and Unrest in the Underclass. Dellplain Latin American Studies, no. 32. Boulder: Westview Press.
Presta, Ana Maria, 2010. “Undressing the Coya and Dressing the Indian Woman: Market Economy, Clothing, and Identities in the Colonial Andes, La Plata (Charcas), Late Sixteenth and Early Seventeenth Centuries.” Hispanic American Historical Review 90, no. 1 (January 2, 2010): 41-74. https://doi.org/10.1215/00182168-2009-090.
Walker, Tamara J., 2017. Exquisite Slaves: Race, Clothing, and Status in Colonial Lima. New York: Cambridge University Press.