Schweigend genäht: Die Kunst des Widerstands
Cheryl McIntosh, Pia Wiegmink & Beatrix Hoffmann-Ihde
BCDSS Independent Collaborator (Artist), BCDSS Cluster Professor & BCDSS Exhibition Curator
Pia Wiegmink und Beatrix Hoffmann-Ihde sprechen mit Cheryl McIntosh über ihre Kunst. Cheryl McIntoshist eine Künstlerin mit jamaikanischen Wurzeln und lebt seit vielen Jahren in Bonn/Deutschland. Mit ihren künstlerischen Arbeiten aus Textil und mixed media setzt sie sich mit der Geschichte und den bis in die Gegenwart anhaltenden Langzeitfolgen der Versklavung von Menschen aus Afrika und ihrer Verschleppung auseinander. Mit ihren Arbeiten will sie auf diese Geschichte aufmerksam machen und einen Heilungsprozess anstoßen.
Der versklavte Junge in modernem Osnaburg
Osnaburg oder Osnaburgh – so wurde der ursprünglich aus Osnabrück stammende Stoff genannt, aus dem Kleider für versklavte Menschen gefertigt wurden. Das seit dem 17. Jahrhundert traditionell aus Flachs hergestellte, raue, dicht gewebte Leinen war aufgrund seiner Strapazierfähigkeit ein beliebtes Material für die Kleidung von Versklavten in Nord- und Südamerika sowie der Karibik (Abb. 1). Booker T. Washington (1856-1915), der selbst unter Versklavung gelebt hatte, beschrieb den sogenannten Osnaburg einmal als „Hunderte Nadelspitzen im Kontakt mit der Haut“.
Abb. 1a + b: „The Enslaved Boy“, Cheryl McIntosh, Mixed Media: Textil, Eisennageln und Papier (2024), (Foto: B. Frommann, 2024).
Madeleine
Das Werk „Madeleine“ von Cheryl McIntosh bezieht sich auf ein Gemälde von Marie Guillemine Benoist (1768-1826). Nach ihrer Rückkehr von der Karibikinsel Guadeloupe, wohin Benoist zur Familie ihres Mannes vor der Französischen Revolution geflohen war, zeigte sie das Gemälde 1800 im Pariser Salon. Das Porträt der ehemals versklavten Madeleine, die durch die Abschaffung der Sklaverei Freiheit erlangte und als Dienerin für die Schwiegerfamilie von Benoist arbeitete, gilt als wichtigstes Werk der Malerin.
Der Titel des Gemäldes von Benoist lautete ursprünglich „Portrait d’une négresse“ und galt in den Jahren nach seiner Entstehung als Symbol der weiblichen Emanzipation und des Kampfes für die Menschenrechte. Doch aus heutiger Perspektive lassen sich die Spuren der kolonialen Machtposition, aus der heraus Benoist ihr Werk schuf, nicht übersehen oder ignorieren. Daran anknüpfend sucht Cheryl McIntosh mit ihrem gleichnamigen Werk und einer Neuinterpretation der porträtierten Frau, den Schmerz zu heilen, der von einer zur nächsten Generation derer weitergegeben wird, deren Vorfahren in die Versklavung verschleppt wurden. Kostbare Stoffe betonen die Würde der Madeleine und verhüllen ihre Nacktheit, die sie auf dem Gemälde von Benoist immer noch in enge Verbindung mit ihrer Biografie als Versklavte bringen (Abb. 2).
Abb. 2: „Madeleine“, Cheryl McIntosh, Textil (2022), (Foto: C. McIntosh, 2022).
The Taming of the Negro, Teil 2
Das Kunstwerk ist inspiriert von „Étude d’aprés le modèle Joseph“ von Théodore Chassériau (1819-1856). Joseph wurde 1793 in Saint Domingue, dem heutigen Haiti, in die Sklaverei hineingeboren und kam nach Frankreich, wo er als Schauspieler und Akrobat arbeitete, um „Afrikaner“ zu spielen. Danach wurde er in Paris zu einem gefragten und anerkannten Malermodel, das in mehreren Gemälden der bildenden Kunst erschien. Der Titel bezieht sich auf den Einsatz und die Rolle der Religion bei der Kolonisierung und Versklavung von Menschen (die Benennung „Teil 2“ bezieht sich auf ein anderes Kunstwerk mit dem Titel „The Taming of the Negro” in dem Joseph von Jesus getauft wird). Die erste Skizze wurde 1836 vom Künstler Jean-Auguste-Dominique Ingres mit dem Titel „Satan“ für die Ausstellung „Le Seigneur chassant le démon du haut de la montagne…“ angefertigt.
McIntosh hat Joseph als einen benannten, freien, gefeierten, begabten schwarzen Menschen dargestellt, der in Richtung Himmel aufersteht, wobei die Rosen die Schönheit des Menschen symbolisieren (und den Schmerz unsichtbarer Dornen). Sein Rosenwerfen spielt auf die Freiheit der Bezugnahme auf Satan und den Dämon, Rassendiskriminierung, Schmerz und Leid an…
Der Spitzenstoff, der zur Darstellung von Josephs Körper verwendet wird, ist ein Symbol für Schönheit, Zerbrechlichkeit und Wert. Der blaue Blumenhintergrund verstärkt die Zartheit und Schönheit der menschlichen Person Joseph (Abb. 3).
Abb. 3: „The TamingoftheNegro, Part II“, Cheryl McIntosh, Textil, (2023), (Foto: C. McIntosh, 2023).
Weiterführende Literatur
Debrey, Cécile et al. (ed.), 2019. Le modèle noir: De Géricault à Matisse. Coédition Flammarion. Musée D’Orsay.
McIntosh, Cheryl, 2024. Counter Thoughts. Counter Images. Eine Ausstellung des Projekts „Aktive Erinnerungskultur“, Bundesstadt Bonn, Kulturamt Bonn.