Grabbeigaben von Kha: Die Bedeutung von Textilien
Honey Hammer
BCDSS PhD Researcher
Im Dorf Deir el-Medina wohnten all jene erfahrenen Handwerker*innen, die die Gräber im Tal der Könige und im Tal der Königinnen errichteten. Während ihrer Bautätigkeiten waren sie in Bezug auf die Versorgung mit Nahrung, Textilien und Wasser, was sie zum Überleben benötigten vom ägyptischen Staat abhängig. erwarb im Lauf seiner Karriere, die sich über die Herrschaft von mindestens drei Pharaonen erstreckte, zahlreiche Titel inne. Anhand seiner Grabausstattung erkunden wir die Textilien, welche in Deir el-Medina in Gebrauch waren.
Deir el-Medina
Am Westufer des Nils bei Theben wurde in den Anfängen des Neuen Reichs (1539‒1076 v. Chr.) das Dorf Deir el-Medina errichtet, um dort jene qualifizierten Handwerker*innen unterzubringen, die die Gräber im Tal der Könige und im Tal der Königinnen errichteten. Das Dorf war während der gesamten Zeit des Neuen Reichs bewohnt. Dank seiner Lage in der Wüste sind zahlreiche Materialien, Gegenstände und Bauwerke über Jahrhunderte hinweg erhalten geblieben. Sie trugen unter anderem erheblich zu unserem Verständnis von Alltag, Rechtssystem, Wirtschaft und Verwaltungsprozessen im alten Ägypten bei (Abb. 1).
Abb. 1: Blick auf Deir el-Medina vom Westfriedhof aus (Foto: EvrenKalinbacak/Shutterstock.com).
Wer war Kha?
Khalebte und arbeitete gemeinsam mit seiner Frau Merit, seinen beiden Söhnen Amenemopet und Nakhteftaneb und seiner Tochter Merit in Deir el-Medina (Abb. 2). Er trat eine Vielzahl von Ämtern an, darunter das des Arbeitsaufsehers auf dem Hauptplatz und das des königlichen Schreibers. Seine Karriere erstreckte sich über die Herrschaft von mindestens drei Pharaonen: Amenhotep II. (1428‒1397 v. Chr.), Thutmosis IV. (1397‒1388 v. Chr.) und Amenhotep III. (1388‒1351 v. Chr.). In seiner Position als Arbeitsaufseher meldete Kha dem Wesir oder direkt dem Pharao die jeweiligen Fortschritte. Wahrscheinlich übte Kha mehrere Ämter gleichzeitig aus. Er war für die Arbeiten verantwortlich und unterstand direkt der königlichen Residenz. Von dieser Position aus genoss er einige Privilegien im Dorf.
Den Großteil unseres Wissens über Kha und seine Familie haben wir aus seinem Grab und seiner Totenkapelle geschöpft, die der Italiener Ernesto Schiaparelli 1906 während der Ausgrabungen in Deir el-Medina entdeckte (Abb. 3). Das Grab mit seinen umfangreichen Beigaben wurde unversehrt aufgefunden und bildet seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine Hauptattraktion des Museo Egizio in Turin. Unter den zahlreichen Beigaben im Grab von Kha befand sich eine goldene Elle – eine königliche Belohnung für Kha. Es handelt sich dabei um eine bildliche Darstellung der echten hölzernen Elle, die in Deir el-Medina regelmäßig zum Messen von Einschnitten in Klippen genutzt wurde. Dadurch konnten die Gräber passgenau in die Klippen eingebaut und Kennzeichnungen von geeigneten Stellen für Grabdekoration festgelegt werden.
Abb. 2: Leinenkasten von Kha und Merit, der die Besitzer sitzend zeigt, wie sie von ihrer Tochter und ihrem Sohn Opfergaben entgegennehmen (Foto: Museo Egizio, o. J., CC0 1.0).
Abb. 3: Grab von Kha und Merit (Foto: Museo Egizio, 1906, CC0 1.0).
Die Rolle von Stoffen in Deir el-Medina
Aufgrund der klimatischen Bedingungen und der Traditionen des alten Ägyptens sind heute zahlreiche Stoffe und Beispiele für ihre Verwendungsmöglichkeiten bekannt (Abb. 4). Deir el-Medina ist allerdings ein besonderes Dorf, da es keine Landwirtschaft betrieb, dort arbeiteten ausschließlich Fachkräfte für den Grabbau. Trotz seiner Besonderheiten repräsentiert Deir el-Medina in gewisser Weise das typische Dorfleben im alten Ägypten. Der Textilbestand für Alltag und Jenseits im Handwerker*innendorf ist erhalten geblieben. Kleidung, Bettwäsche und Decken von Kha und seiner Frau Merit wurden in ihren Gräbern gefunden, ihre Mumien lagen bestens erhalten in ihren Särgen. Deren Bandagen verbargen übrigens beeindruckende Juwelen, darunter eine von Kha getragene Shebyu-Kragen-Halskette, die als „Ehrengold“ galt und eine Belohnung des Pharaos für würdige Amtsträger*innen darstellte. Die Stoffe bestehen aus Leinen, die gängigste Textilart im alten Ägypten. Leinen wurde aus Flachs gewebt – einer Pflanze, die bereits im 6. Jahrtausend. v. Chr. in Unterägypten angebaut wurde.
Abb. 4: Kha’s Tuniken, genannt meses und andere Leinentextilien, welche die Kiste enthielt (Foto: Museo Egizio, o. J., CC0 1.0).
Textilien spielten für die alten Ägypter*innen sowohl im Leben als auch im Tod eine wichtige Rolle. Dies zeigt sich in der Verwendung von Bandagen für Mumien. Im Alltag wurden die meisten Stoffe wiederverwendet und zweckentfremdet, wenn sie älter wurden und ausfransten. Viele Materialien wurden auf unterschiedliche Weise genutzt und häufig sowohl von Männern als auch von Frauen mehrfach umgenutzt und getragen (Abb. 5 + Abb. 6). Im Todesfall wurden nicht nur die im Alltag notwendigen Textilien als Beigabe für das Jenseits verwendet, auch Leinenbahnen gehörten zu den üblichen Grabbeigaben verstorbener Familienmitglieder oder Amtsträger*innen. Daher ist diese Beigabe häufig auf Darstellungen zu sehen, zum Beispiel auf der eines Opfertischs auf der Leinenschachtel von Kha und Merit sowie auf ihrer Grabstele (Abb. 7). Leinen kommt auch in den Opferformeln vor – einem standardisierten Text, der auf Grabdenkmäler und -gegenstände geschrieben wurde, um den Verstorbenen Opfergaben ins Jenseits mitzugeben.
Abb. 5: Merits Bett mit Bettlaken und Kopfstütze (Foto: Museo Egizio, o. J., CC0 1.0).
Abb. 6: Kha’s Lendenschurz (Foto: Museo Egizio, o. J., CC0 1.0).
Abb. 7: Grabstele von Kha und Merit, auf der sie im oberen Register Osiris und Anubis preisen und im unteren Register Opfergaben entgegennehmen (Foto: Museo Egizio, o. J., CC0 1.0).
Wie gelangte Deir el-Medina an Textilien?
Wenn in Deir el-Medina keine Landwirtschaft betrieben wurde, wie kamen die Menschen dann an Textilien? Um Leinen aus Flachs herzustellen, musste man einen komplexen Prozess durchlaufen: Die Samen wurden im November ausgesät, und im März wurde der Flachs mit unterschiedlichen Reifegraden geerntet. Der Reifegrad bestimmte die Qualität und die Art des Garns. In einem spezialisierten Vorgang zur Gewinnung von Textilfasern aus Flachspflanzen wurden die Stängel für längere Zeit in Wasser eingeweicht, um die inneren Fasern leichter von den äußeren Stängeln trennen zu können. Die Fasern wurden anschließend gereinigt, gekämmt und in verschiedenen Spinntechniken zu Garn gesponnen – je nachdem, welche Art von Garn erwünscht war. Daraufhin konnte mit dem Garn gewebt werden, was wiederum viel Zeit und handwerkliches Geschick erforderte (Abb. 8).
Die Arbeiter*innen wurden in Naturalien bezahlt, sie waren in Bezug auf Nahrung, Wasser und ihr Überleben vom Staat abhängig. Die Handwerker*innen wurden außerdem mit Textilien und Garnen bezahlt. Es ist jedoch unklar, wie der Flachs – nicht Garn oder Leinen – ins Dorf gelangte und in welchem Verarbeitungszustand er sich befand. Möglich wäre, dass jede Familie bei Bedarf Flachs kaufen konnte. Doch die beachtliche Anzahl an Textilverarbeitungswerkzeugen in dieser kleinen Gemeinschaft deutet darauf hin, dass nahezu alle Familien Garn zu Hause produzierten. Da Webstühle hingegen ein spezialisierteres Werkzeug und daher teurer waren, besaß wahrscheinlich nicht jeder Haushalt einen solchen. Vielmehr scheint es möglich, dass nur wenige Familien für den eigenen Haushalt und den Handel innerhalb der Gemeinschaft Textilien herstellten – ein eng verwobenes Netz gegenseitiger Abhängigkeiten (Abb. 9).
Abb. 8: Szene aus dem thebanischen Grab 1 von Sennedjem, die den idealisierten Ackerbau im Jenseits zeigt, einschließlich des Flachsanbaus (Foto: Museo Egizio, 1905‒1914, CC0 1.0).
Abb. 9: Eine Auswahl von Web- und Spinnwerkzeugen und Rohmaterialien aus Deir el-Medina (Foto: Museo Egizio, o. J. CC0 1.0).
Weiterführende Literatur
Anonymous (ed.), 2015. Museo Egizio. Translated by Colum Fordham. Torino; Modena: Museo Egizio; Franco Cosimo Panini.
Della Monica, Madeleine, 1980. La classe ouvrière sous les pharaons: étude du village de Deir el Medineh, 2nd, revised ed. Paris: Librairie d’Amérique et d’Orient.
Drewsen, Anne, 2019. Spinning for the gods? Preliminary observations on prehistoric textile production at Hierakonpolis, Egypt. Archaeological Textiles Review 61, 3-13.
McDowell, A. G., 1999. Village life in ancient Egypt: laundry lists and love songs. Oxford: Oxford University Press.
Spinazzi-Lucchesi, Chiara, 2022. Textile production at Deir el-Medina: a hidden activity. In Töpfer, Susanne, Paolo Del Vesco, and Federico Poole (eds), Deir el-Medina: through the kaleidoscope. Proceedings of the international workshop, Turin 8th-10th October 2018, 493-501. Torino: Museo Egizio; Franco Cosimo Panini.
Wilson, Hilary, 2014-2015. Linen. Ancient Egypt: the history, people and culture of the Nile valley 87 (15/3), 41-43.