
Louise Aston im Herrenanzug und ihr Widerstand gegen die Frauenunterdrückung
Beatrix Hoffmann-Ihde
BCDSS Exhibition Curator
In der Zeit des Vormärz kämpfte Louise Aston (1814–1871) nicht nur entschieden für die Demokratisierung der Gesellschaft, sondern trat auch radikal für die Gleichberechtigung der Frauen ein. Ihrer Forderung verlieh sie mit ihrem Lebensstil provozierenden Ausdruck: Sie trennte sich von dem ungeliebten Ehemann, engagierte sich zusammen mit jungen Männern politisch UND trug sogar gelegentlich zigarrenrauchend Männerkleidung. Sie provozierte mit ihren Forderungen nicht nur die bürgerliche Gesellschaft, sondern auch die damalige Frauenbewegung, der sie viel zu radikal war.
„Kleider machen Leute“
… nicht nur, indem sie den sozialen, ökonomischen oder politischen Status einer Person markieren, sondern sie bieten – ähnlich wie Maskenanzüge – ihren Träger:innen auch die Möglichkeit, in andere Rollen zu schlüpfen. Dieses „Verkleiden“ kann Freiräume eröffnen, die Louise Aston (1814-1871) (Abb. 1) erkannte und für sich nutzte. Indem sie als junge Frau gelegentlich Männerkleidung trug, nahm sie sich die Freiheit zum Protest gegen die gesellschaftliche Entmündigung der Frauen und ihre eigene Lebenssituation. In diese war die Pfarrerstochter aus Gröningen bei Halberstadt durch eine erzwungene Ehe mit dem sehr viel älteren Maschinen- und Textilfabrikanten Samuel Aston geraten. Durch die Zwangsheirat und in der Ehe erlebte Louise Aston, dass Männer über den Körper ihrer Ehefrauen und über sie als Personen verfügen durften, nur weil sie weiblich waren. In ihren Schriften bezeichnete Louise Aston dann auch die Ehe als „blendende Sklaverei“, eine „Fessel“ (Aston 1847: 14) und als „ununterbrochenes Opferfest“ (Aston 1847: 23).

Abb. 1: Portrait der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Louise Aston. Auguste Hüssener (1789-1877), ca. 1851, Stahlstich (Stiftung Stadtmuseum Berlin, Altbestand Märkisches Museum).
Kämpferin für die Gleichberechtigung
Im deutschen Vormärz, einer Zeit des politischen Aufbruchs, zählte Louise Aston zu den radikalen Verfechterinnen der Demokratie und – für sie eng mit dieser verflochten – auch der Rechte der Frau. Denn Aston dachte die Forderungen des Vormärz nach bürgerlicher Freiheit und gesellschaftlicher Gleichbehandlung folgerichtig zu Ende, wie vor ihr schon andere Frauen, etwa in Frankreich und Großbritannien. Als logische Konsequenz forderte auch sie für Frauen die gleichen Rechte und Freiheiten, wie sie für die bürgerliche – und in dieser Zeit männlich gedachte – Gesellschaft gefordert wurden.
Diesem Anspruch verlieh sie nicht nur in ihren Texten Ausdruck, sondern auch visuell. Die Provokation, welche das Tragen von Männerkleidung darstellte, steigerte sie noch durch einen männlichen Habitus: den öffentlichen Alkohol- und Zigarrengenuss. Beides wurde in der damaligen bürgerlichen Gesellschaft ausschließlich Männern zugestanden. Die Sprengkraft ihrer radikalen demokratischen und frühfeministischen Positionen bekam Louise Aston immer wieder zu spüren: Sie trug ihr ein unstetes Leben als Revolutionärin, Schriftstellerin und Krankenpflegerin ein. Aus mehreren Städten im deutschsprachigen Raum wurde Louise Aston verwiesen, zuletzt sogar aus Bremen, wo sie mit ihrem zweiten Ehemann lebte und längst keine Männerkleidung mehr trug. Aber da war sie bereits stigmatisiert: „In großen Städten“, wie der Bremische Beobachter im Mai 1849 schrieb, ist sie „mit Männern in Männerhosen herumgelaufen“ und hat „mit denen geraucht und gezecht“, wofür sie „von den Polizeibehörden überall, selbst in Zürich, ausgewiesen worden ist“ (Cyrus 1987: 151; Bremischer Beobachter 26.5.1849).
Mit Vergessenheit bestraft
Die Ablehnung, die Louise Aston aufgrund ihrer Radikalität von der Gesellschaft, aber auch von der Frauenbewegung erfuhr, führte dazu, dass sie bald nach ihrem Tod zunächst in Vergessenheit geriet. Ihre Bücher, Texte und Gedichte sind kaum bekannt – hier hat sie den Kampf um Gleichberechtigung als Frau verloren. Denn während Gerhart Hauptmanns Theaterstück „Die Weber“ oder Heinrich Heines Gedicht „Die schlesischen Weber“ noch heute in den Lehrplänen stehen, kennt kaum jemand zum Beispiel Astons Gedicht „Lied einer schlesischen Weberin“ oder andere Texte, in denen sie das Elend von Fabrikarbeiter:innen anprangert. Dieses hatte sie als Ehefrau des Maschinen- und Textilfabrikanten Samuel Aston offenbar aus direkter Nähe angesehen. Eine Erfahrung, die sie auch in ihrem autobiografischen Buch „Aus dem Leben einer Frau“ verarbeitet (Aston 1847).
Das Tragen von Männerkleidung – als Protest gegen die soziale Geschlechterungleichheit und Forderung nach Gleichberechtigung – erscheint uns heute wie eine beiläufige Marginalie. Zu Lebzeiten von Louise Aston jedoch war es eine ungeheuerliche Provokation, von deren Wucht sich vielleicht etwas in dem Gemälde von Johann Baptist Reiter erhalten hat (Abb.2).

Abb. 2: Die Emanzipierte. Johann Baptist Reiter (1813-1890), o. J., vermutlich ein Portrait Astons (Foto: Oberösterreichisches Landesmuseum, 2013).
Lied einer schlesischen Weberin[i]
Louise Aston
Wenn’s in den Bergen rastet,
Der Mühlbach stärker rauscht,
Der Mond in stummer Klage
Durch’s stille Strohdach lauscht;
Wenn trüb die Lampe flackert
Im Winkel auf dem Schrein:
Dann fallen meine Hände
Müd in den Schoß hinein.
So hab‘ ich oft gesessen
Bis in die tiefe Nacht,
Geträumt mit offnen Augen,
Weiß nicht, was ich gedacht;
Doch immer heißer fielen
Die Thränen auf die Händ’ –
Gedacht mag ich wohl haben:
Hat’s Elend gar kein End? –
Gestorben ist mein Vater, –
Vor Kurzem war’s ein Jahr –
Wie sanft und selig schlief er
Auf seiner Todtenbahr’!
Der Liebste nahm die Büchse,
Zu helfen in der Noth;
Nicht wieder ist er kommen,
Der Förster schoß ihn todt. –
Es sagen oft die Leute:
„Du bist so jung und schön,
Und doch so bleich und traurig,
Sollst du in Schmerz vergehn?“ –
„Nicht bleich und auch nicht traurig!“
Wie spricht sich das geschwind,
Wo an dem weiten Himmel
Kein Sternlein mehr ich find’!
Der Fabrikant ist kommen,
Sagt mir: „Mein Herzenskind,
Wohl weiß ich, wie die Deinen
In Noth und Kummer sind;
Drum willst Du bei mir ruhen
Der Nächte drei und vier,
Sieh’ dieses blanke Goldstück!
Sogleich gehört es Dir!“
Ich wußt‘ nicht, was ich hörte –
Sei Himmel Du gerecht
Und lasse mir mein Elend,
Nur mache mich nicht schlecht!
O lasse mich nicht sinken!
Fast halt’ ich’s nicht mehr aus,
Seh’ ich die kranke Mutter
Und ’s Schwesterlein zu Haus’!
Jetzt ruh’n so still sie alle,
Verloschen ist das Licht,
Nur in der Brust das Wehe,
Die Thränen sind es nicht.
Kannst Du, o Gott, nicht helfen,
So lass’ uns lieber gehn,
Wo drunten tief im Thale Die Trauerbirken steh’n!
Weiterführende Literatur
Aston, Louise, 1847. Aus dem Leben einer Frau. Autobiografischer Roman. Otto Meißner, Hamburg 1847. (https://books.google.de/books?id=yx9VAAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false)
Bremischer Beobachter. Lokale Wochenzeitung, erschien 1849-1855 zweimal wöchentlich, danach fortgesetzt als Bremer Tageblatt.
Cyrus, Hannelore, 1987. „Denn ich will aus mir machen das Feinste…“ In: Malerinnen und Schriftstellerinnen im 19. Jahrhundert in Bremen. Bremen: Verlag in der Sonnenstraße. Pp. 147–154.
Garves, Agnieszka, 2011. Louise Aston (1814-1871)
– kompromisslose Denkerin und scharfsinnige Kritikerin der Gesellschaft. In: lpb-bw.de. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. (https://www.lpb-bw.de/louise-aston-frau-im-fokus).
Goetzinger, Germaine, 1983. Für die Selbstverwirklichung der Frau: Louise Aston. In Selbstzeugnissen und Dokumenten. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.
Sichtermann, Barbara, 2014. Ich rauche Zigarren und glaube nicht an Gott. Hommage an Louise Aston. Berlin: edition ebersbach.
[i] https://www.zgedichte.de/gedichte/louise-franziska-aston.html