Textilproduktion und Abhängigkeiten im antiken Griechenland
Martin Bentz & Patrick Zeidler
BCDSS Principal Investigator & BCDSS Exhibition Publication Coordinator
In den antiken Mittelmeerkulturen des 1. Jahrtausends v. Chr. spielte die Textilherstellung eine wichtige Rolle. So wird sie bereits bei Homer, dem griechischen Dichter des 8. Jahrhunderts v. Chr., ausführlich thematisiert. Von Beginn an charakterisierte Kleidung verschiedene soziale Gruppen, besonders wertvolle Stoffe wurden den Göttern geweiht und besaßen einen hohen Tauschwert. Die Fasern für die Textilherstellung wurden durch die Domestizierung von Schafen (Wolle) sowie den Anbau von Flachs gewonnen. Baumwolle war vor der arabischen Eroberung Ägyptens im 7. Jahrhundert n. Chr. im antiken Mittelmeerraum weitgehend unbekannt.
Abb. 1: Schwarzfiguriges Salbölgefäß (Lekythos). Ton, attisch, Amasis-Maler, 550–530 v. Chr. Auf der Wandung des Gefäßes sind Frauen bei verschiedenen Schritten der Textilproduktion dargestellt. Dabei kommen Hilfsmittel wie Wollkörbe, Spindeln und ein Webstuhl zum Einsatz. The Metropolitan Museum of Art, New York, Inv. 31.11.10, H: 17,1 cm (Foto: The Metropolitan Museum of Art, New York, o. J.).
Der Bildfries auf einem Parfümfläschchen des 6. Jahrhunderts v. Chr. aus Athen, hier in einer Abrollung (Abb. 1), zeigt detailliert alle Phasen der Herstellung von Stoffen. Der erste Schritt – nach der Gewinnung und Reinigung des Rohstoffs – besteht im Spinnen der Fäden. Dieser Vorgang wurde mit einer einfachen Handspindel ausgeführt. Dabei werden zunächst durch Ziehen und gleichzeitiges Drehen aus den einzelnen Fasern fortlaufende Fäden hergestellt Die vorbereiteten Fasern werden in einem Wollkorb (kalathos) platziert (s. die Figur links des Webstuhls und beide Frauen am rechten Bildrand). Anschließend zieht man mit der einen Hand nach und nach die Fasern heraus und führt diese der Spindel zu, welche gleichzeitig von der anderen Hand gedreht wird (s. die zweite Frau links des Webstuhls). Sodann wird die Wolle zu gleich großen Knäueln aufgerollt, abgewogen (die beiden Frauen rechts des Webstuhls) und dann verwendet. Das geschieht hier an einem großen Webrahmen, dessen Kettfäden unten von pyramidalen Webgewichten straff gehalten werden. Zwei Frauen führen die Webarbeit aus, die rechte führt die Fäden ein, die linke schiebt sie nach oben zusammen. Die fertigen Stoffe werden zum Schluss zusammengelegt (am linken Bildrand).
Das Bild verdeutlicht neben technischen Aspekten, dass die Textilherstellung in Griechenland vor allem Frauenarbeit war; außerdem erkennt man eine Hierarchie innerhalb der Werkstatt. Die auf einem aufwendig gestalteten Stuhl dargestellte Frau ist vermutlich die Werkstattbesitzerin, die sich an der Arbeit beteiligt. Hinter ihr gibt eine Vorarbeiterin Anweisungen. Die Frau links am Webstuhl ist wegen ihrer nichtgriechischen Haargestaltung als fremdländische Sklavin charakterisiert.
Die Textilherstellung fand sowohl in großen Werkstätten als auch im häuslichen Kontext statt. Die hierbei verwendeten Gerätschaften stellten einen Teil der Aussteuer und Hochzeitsgeschenke dar – so wie vielleicht auch das Parfümfläschchen mit dem detaillierten Werkstattbild – und wurden Gräbern von Frauen beigegeben, um deren Status im vergangenen Leben zu kennzeichnen.
Abb. 2: Nachahmung eines Wollkorbs (kalathos) aus Ton. Apulien (Italien), messapisch, 330/320–280 v. Chr. Wollkörbe waren eigentlich aus Bast gefertigt. Solche Tonimitate, oft in kleinerer Ausführung, dienten als Grabbeigaben für Frauen und waren ein Statussymbol. Akademisches Kunstmuseum Bonn, Inv. 1283, H. 16,2 cm (Foto: J. Schubert, Akademisches Kunstmuseum Bonn, o. J.).
Abb. 3: Spindel, Bronze, aus Spoleto (Umbrien), italisch, 8. Jahrhundert v. Chr. Material und Dekor sprechen dafür, dass diese Spindel nicht dem alltäglichen Gebrauch diente, sondern für die Verwendung als Statussymbol im Grab gedacht war. Akademisches Kunstmuseum Bonn, Inv. C 292, L: 28,0 cm (Foto: H. G. Oed, Akademisches Kunstmuseum Bonn, o. J.).
Die Wollkörbe waren ursprünglich geflochten, finden sich in Gräbern jedoch auch aus Ton. (Abb. 2) Spindeln bestanden meist aus Holz, ein Bronzeexemplar (Abb. 3), das ebenfalls aus einem Grab stammt, ist wegen der filigranen Verarbeitung und der dekorativen Anhänger wohl kaum im Alltagsleben benutzt worden, sondern war vielmehr für eine Verwendung als Grabbeigabe mit symbolischem Wert bestimmt. In allen antiken Siedlungen finden sich zudem zahlreiche Webgewichte aus Ton, deren Durchbohrung der Befestigung an den Kettfäden diente. (Abb. 4)
Abb. 4: Webgewichte, Ton, italisch, 5.–4. Jahrhundert v. Chr. Webgewichte können unterschiedliche Formen besitzen und aus verschiedenen Materialien gefertigt sein. Die hier gezeigten italischen Exemplare aus Ton sind trapezförmig und am oberen Ende durchlocht, um dort die Kettfäden zu befestigen. Manche dieser Webgewichte weisen auf einer der Langseiten einen Stempel auf. Akademisches Kunstmuseum Bonn, Inv. D 534 a–b, D 851, D 914, H. 6,0–10,0 cm (Foto: H. G. Oed, Akademisches Kunstmuseum Bonn, o. J.).
Weiterführende Literatur:
Gleba, Margarita, 2012. Textiles and Textile Production in Europe from Prehistory to AD 400, Ancient Textiles Series 11, Oxford.
Harlow, Mary, 2021. A Cultural History of Dress and Fashion in Antiquity, London.