Unsere traditionelle Aghabani-Tischdecke
Dima Al Munajed
BCDSS Diversity, Equity, and Inclusion Coordinator
Eine mit Gold- oder Silberfäden bestickte Aghabani-Tischdecke ist in fast jedem Haushalt in Damaskus zu finden. Aghabani-Stickereien reichen tief in die syrisch-osmanische Geschichte zurück und sind ein wohlbekannter Teil syrischer Kultur und Tradition, insbesondere für syrische Männer und Frauen aus der Stadt Damaskus und ihrer Umgebung, die seit über 150 Jahren Aghabani herstellen.
Das Besticken von Aghabani-Textilien ist eine Fertigkeit in der Herstellung von Tischdecken oder Kleidung, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, besonders unter syrischen Frauen (Abb. 1). Üblicherweise werden dafür Organza-, Seiden- oder Baumwollstoffe verwendet. Die Frauen bringen von ihnen ausgewählte Stoffe zu Holzschnittdruckern, die mehrere gestaltete Holzschnitte zur Auswahl anbieten. Die gewählten Designs werden dann mit auswaschbarer blauer Tinte auf den Stoff gedruckt, um die Stickerei anzuleiten, die normalerweise mithilfe einer besonderen Aghabani-Nähmaschine mit goldenen oder silbernen Viskosefaden angefertigt wird. Die fertigen Stoffe werden ausgewaschen, gebügelt und stehen somit bereit für den Verkauf in Geschäften (Abb. 2).
Abb. 1: Syrische Aghbani-Tischdecke, Detail (Foto: Dima Al Munajed, 2024).
Abb. 2: Syrische Aghbani-Tischdecke (Foto: Dima Al Munajed, 2024).
Unsere Aghabani-Tischdecke habe ich von meiner Schwiegermutter geerbt. Bevor sie ihren Weg nach Bonn fand, schmückte diese Decke über zwanzig Jahre den Esstisch in Damaskus. Diese wahre Vintage-Schönheit in Weiß und Gold auf Seidenstoff hat historische Bedeutung für unsere Familie, die mit dem Nachnamen meines Mannes „Alshash“ und mit ihrer Tradition als Verkäufer*innen von Aghabani-Textilien über mehrere Generationen hinweg zusammenhängt. Die Alshash-Familie besitzt noch heute mehrere Geschäfte in Damaskus, die Aghabani-Textilien und andere traditionelle Handarbeiten verkaufen. Aus einem davon stammt das Aghabani-Tischtuch, das mir meine Schwiegermutter vererbt hat (Abb. 3).
Abb. 3: Syrische Aghbani-Tischdecke (Foto: Dima Al Munajed, 2024).
Die Stadt Damaskus ist eine der ältesten durchgängig bewohnten Städte der Welt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Geschichte des traditionellen Handwerks, dessen Ursprünge und die Geschichten der Menschen dahinter nie so ganz einfach sind. Diese Aghabani-Tischdecke und ihre Verbindung zur Alshash-Familie reicht bis in jene Zeit zurück, als Syrien Teil des Osmanischen Reiches war (1516‒1919) und zwar ins frühe 19. Jahrhundert. Damals begannen die Ottomanen, Aufzeichnungen über die im Reich lebenden Menschen anzulegen, die als Nufus (Bevölkerungsregister) bekannt sind. Die Nufus wurden auf lokaler Verwaltungsebene geführt und enthielten Informationen zu Geburt, Tod, Heirat und Scheidung. Auch Familien wurden in den Nufus registriert. Die ersten registrierten syrischen Familien erhielten typischerweise Familiennamen, die mit ihrem damaligen Beruf in Zusammenhang standen, wie Bäcker, Metzger usw., oder wenn sie vor Kurzem aus einer anderen Stadt/einem anderen Land eingewandert waren, wie Almasri (der Ägypter), Aljazaeri (der Algerier) usw. Mein Familienname Al Munajed bedeutet „der Polsterer“, der Beruf meines Ururgroßvaters aus Damaskus.
Der Ursprung des Familiennamens meines Mannes ist weniger direkt, über seine Bedeutung gibt es zwei bekannte Theorien. Die erste verbindet ihn mit dem Stoff, der auf Arabisch „Shash“ oder Gaze genannt wird, ein leichter, offen gewebter Stoff aus Baumwolle. Gaze wird für die Herstellung von Aghabani-Stoffen eingesetzt. Es heißt, dass die Verbindung der Familie mit der Herstellung und dem Verkauf von Aghabani-Stoffen ihr diesen Namen einbrachte. Die zweite Theorie besagt, dass die Familie meines Mannes ursprünglich aus der Stadt Shash stammt, die sich in der Region des heutigen Samarkand in Usbekistan befindet.
Wie auch immer, unsere Aghabani-Tischdecke stiftet eine wertvolle Erinnerung an unsere Identität und unsere Kultur. Wenn wir sie auf unserem Esstisch ausbreiten, erinnert sie uns an die syrische Liebe zum Feiern, zur Schönheit und zum Zusammensein mit Freunden und Familie an großen Esstischen und natürlich an das exquisite syrische Essen, das darauf platziert wird.
Abb. 4: Syrische Aghbani-Tischdecke, Detail (Foto: Dima Al Munajed, 2024).
Weiterführende Literatur
Bedirian, Razmig, 2023. “Syrian Life’s Rich Tapestry: 2,000 Years of History Told in Textiles at New York Show.” The National News. https://www.thenationalnews.com/arts-culture/art-design/2023/10/29/stories-of-syrias-textiles-exhibition/.
Childs, Blair Fowlkes, Emily Handlin, and Michelle Yun Mapplethorpe, 2023. Stories of Syria’s Textiles: Art and Heritage across Two Millennia. Katonah Museum of Art. Exhibition catalogue. https://katonahmuseum.square.site/product/stories-of-syria-s-textiles-art-and-heritage-across-two-millennia/1834.
Kataf, Rania, o. J. Hidden Figures: The Women behind the Beautiful Craft of Aghabani. https://syrian-heritage.org/hidden-figures-the-women-behind-the-beautiful-craft-of-aghabani/.
Makk, Danni, 2022. “It’s Not Impossible to Revive It – Inside One of Syria’s Last Brocade Shops.” The National News. https://www.thenationalnews.com/weekend/2022/03/11/its-not-impossible-to-revive-it-inside-one-of-syrias-last-brocade-shops/.
Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin, o. J. “Syrian Heritage Archive Project (SHAP).” https://www.smb.museum/en/museums-institutions/museum-fuer-islamische-kunst/collection-research/research-cooperation/syrian-heritage-initiative/syrian-heritage-archive-project/.