Schlesischer Weberaufstand 1844: Widerstand gegen kapitalistische Ausbeutung
Beatrix Hoffmann-Ihde
BCDSS Exhibition Curator
Die Textilproduktion war immer wieder Motor wichtiger technologischer, sozialer und damit auch ökonomischer und politischer Umwälzungen. So gilt die Inbetriebnahme der ersten Spinnmaschine, der Spinning Jenny, als Beginn der industriellen Revolution in Europa. Aber auch der Widerstand gegen Ausbeutung im Umfeld der Textilproduktion, die bis heute durch asymmetrische Abhängigkeitsbeziehungen geprägt ist, entfachte soziale und sogar politische Umwälzungen, wie das Beispiel des schlesischen Weberaufstands von 1844 zeigt.
Seit dem ausgehenden Mittelalter gab es in Europa immer wieder sogenannte Weberaufstände. Sie richteten sich zunächst gegen konkrete Missstände im Umfeld der Textilproduktion. Mit zunehmender Kapitalisierung der Textilproduktion führte die wachsende Ausbeutung, wobei hohe Arbeitsbelastung mit schlechter Bezahlung einherging, zu diesen Weberaufständen. Sie resultierten aus der Verdrängung der handwerklichen Textilproduktion durch ein Verlagssystem, das von starker asymmetrischer Abhängigkeit geprägt war. Die Verleger kontrollierten den Zugang zu Rohstoffen, legten die Produktpalette und die Preise für die Herstellung fest. Vom profitablen Part des Verkaufs waren die Produzent*innen ausgeschlossen, weil ihn die Verleger für sich beanspruchten.
Durch die koloniale Unterwerfung außereuropäischer Regionen, die Ausbeutung der Rohstoffe und der dort lebenden Bevölkerungen überschwemmten günstig produzierte Textilien zunehmend den Markt. Für die mitteleuropäischen Weber*innen führte dies zu einem kontinuierlichen Absenken ihrer Löhne. Dieses Lohndumping wurde durch die voranschreitende Industrialisierung der Textilproduktion in Europa noch zusätzlich verstärkt. In den neu errichteten Fabriken wurden Stoffe und Tuche in sehr viel größeren Mengen, kostengünstiger und qualitativ höherwertig als an den heimischen Handwebstühlen der vom Verlagswesen abhängigen Weber*innen produziert. Arbeitskräfteüberschuss und Lebensmittelmangel durch einen rasanten Bevölkerungsanstieg führten in manchen Regionen, wie zum Beispiel in Schlesien, zu einer dramatischen Verarmung der Landbevölkerung. Im schlesischen Eulengebirge etwa war die Landbevölkerung schon länger darauf angewiesen, ihr karges Einkommen aus der landwirtschaftlichen Produktion durch Heimweberei aufzubessern. Lohnsenkungen für diese Arbeit stellten daher eine akute Bedrohung ihrer Existenz dar.
Der Weberprotest von Peterswaldau und Umgebung (1844)
Im Juni 1844 formierte sich ein Protestzug von Baumwollweber*innen aus Peterswaldau und umliegenden Orten des Eulengebirges, heute im tschechisch-polnischen Grenzgebiet gelegen, um vor die Fabrikantenvilla der Gebrüder Zwanziger zu ziehen. Dort protestierten sie gegen eine erneute Kürzung der Entlohnung ihrer Arbeit. Ihre Wut richtete sich besonders auf die Gebrüder Zwanziger, weil diese neureichen Fabrikanten einst selbst Weber gewesen waren und damit Aufsteiger aus ihren eigenen Reihen. Die Fabrikbesitzer ließen die Protestierenden gewaltsam vertreiben und übergaben einen der Weber der örtlichen Polizei.
Daraufhin formierten sich am folgenden Tag nahezu alle Weber*innen der Umgebung zu einem Protestzug. Sie forderten höhere Löhne und die Freigabe ihres Kollegen aus dem Polizeigewahrsam.
Am nächsten Tag griff das preußische Militär in die Geschehnisse ein und reagierte mit unverhältnismäßiger Härte. Im Ergebnis waren elf Menschen tot und viele weitere verletzt.
Obwohl im Nachgang durch staatliche Zensurmaßnahmen versucht wurde, den Protest und die zunehmende Verarmung der arbeitenden Bevölkerung totzuschweigen, erfuhr der Widerstand der schlesischen Weber*innen gegen ihre Ausbeutung ein enormes Medienecho. Auch künstlerisch wurden die Ereignisse unmittelbar darauf von sozialkritischen Künstlern rezipiert: Heinrich Heine schrieb noch im selben Jahr das Gedicht „Die schlesischen Weber“, Carl Wilhelm Hübner malte die ersten beiden Fassungen von „Die schlesischen Weber“ (Abb. 1). Karl Marx setzte sich ebenfalls in einem seiner ersten Texte für das 1844 gegründete Journal „Vorwärts: Pariser deutsche Monatsschrift“ mit dem Protest der schlesischen Weber auseinander. Er schlussfolgerte aus diesem Aufstand auf die Existenz einer deutschen Arbeiterbewegung (Hodenberg 1997). Zusammen mit Friedrich Engels erarbeitete Marx am Beispiel des schlesischen Weberaufstands seine Klassenkampf-Theorie (Schmidt 2016).
Abb. 1: „Die schlesischen Weber“, Carl Wilhelm Hübner (1844). LVR-LandesMuseum Bonn (Foto: J. Vogel, o. J.).
In der heutigen Geschichtsschreibung gilt der schlesische Weberaufstand von 1844 ‒ oder zumindest seine kritische Rezeption und deren Breitenwirkung ‒ als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Revolution von 1848, einem Meilenstein der deutschen Demokratiegeschichte.
Weiterführende Literatur
Hodenberg, Christina von, 1997. Aufstand der Weber. Die Revolte von 1844 und ihr Aufstieg zum Mythos. Bonn: Verlag J. H. Dietz Nachfolger.
Hoffrogge, Ralf, 2011. Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland. Von den Anfängen bis 1914. Stuttgart: Schmetterling Verlag.
Schmidt, Jürgen W., 2016. Neues zur Vorgeschichte des Schlesischen Weberaufstandes 1844. Ein Dokument aus Langenbielau vom Februar 1844. In: Schlesische Geschichtsblätter. Zeitschrift für Regionalgeschichte Schlesiens, Karlstadt (Main).